Feder schreiben

Freundschaften sind in meinem Leben meist mit aktuellen Lebensthemen verbunden. In der Schulzeit begleiteten mich Schulfreundinnen, dann waren es Kolleginnen aus dem Chor und aus der Krankenpflegeschule. Als mein Gefährte und ich ein junges Paar waren, waren da einige Paare unsere gemeinsamen Freunde. Und bald waren es die Mütter der Kinder, die die Freunde unserer Kinder waren.

Eine davon war Gerti. Ihr Sohn wurde Freund unseres Jüngsten. Und wenngleich sich die meisten Freundschaften mit der Zeit aufhörten, entwickelte sich unsere Beziehung weiter. Wir trafen uns mit den Kindern auf dem Spielplatz, in einer unserer Wohnungen. Und während unsere Kinder spielten, führten wir stundenlang Gespräche. Oder wir telefonierten am Abend, wenn die Kinder schliefen und mein Gefährte musikalisch unterwegs war.

Gerti und ich – wir redeten über alles.

Über die Bücher, die wir gerade lasen, über Erziehungsthemen, über unsere Beziehungen und über intime Themen. Wir hörten einander zu und verstanden einander. Da waren Gespräche über unrealistische Wünsche, über durchaus erreichbare Ziele und über Sehnsüchte. Mit Gerti redete ich, wie ich bisher noch nie mit einem Menschen reden konnte. Gespräche, die in die Tiefe führten. Wir waren einander Resonanzkörper.

Die Kinder wurden größer, ich stieg wieder in meinen Beruf ein, studierte, versorgte Haushalt und Familie und die gemeinsame Zeit für unsere Freundschaft wurde rar. Unsere Wege trafen sich nur selten. Was blieb, war ein sicheres Treffen einmal pro Jahr. Zwischen unseren Geburtstagen im November und Weihnachten. Jedes Jahr haben wir ein kleines, persönliches Geschenk, essen und erzählen uns aus unseren Leben. Kleine Geschichten und große Themen. Liebe und Trennungen. Krankheit, Tod und Trauer. Und viel Verstehen. Alles, was zwei unterschiedliche Schicksale in sich bergen. Ein gemeinsamer Abend pro Jahr. Und dann gehen wir zurück in unseren Alltag.

In Zeiten von Corona beginnen wir einen kleinen E-Mail-Verkehr.

Sprache im Sonntagsgewand. Poesie via Internet. Ich merke die angenehme Reaktion in meiner Seele und freue mich. Da ist sie wieder, diese einstige Resonanz. Ich erinnere mich an jene Zeit vor dreißig Jahren, als wir zum ersten Mal dieses gemeinsame Schwingen erlebten.

Nach mehr als dreißig Jahren sind unsere Leben groß geworden.
Die Resonanz von damals zu spüren tut gut.
Es gibt viele Menschen, die einen eine Zeitlang durchs Leben begleiten. Und es gibt wenige, die die die Seele zum Schwingen bringen. Gerti ist für mich ist eine von ihnen.

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